Herzgesundheit: So wichtig sind Bewegung und Sport
Wie können Sie durch ein regelmäßiges körperliches Training Herzerkrankungen vorbeugen beziehungsweise bei einer vorhandenen Herzerkrankung Ihre Lebensqualität verbessern? Wie lange sollten Sie nach einem Infekt mit Sport pausieren, um Komplikationen wie eine Herzmuskelentzündung zu verhindern? Dies und mehr verrät Sportkardiologe Univ.-Prof. Jürgen Scharhag, Ärztlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Sportmedizin in Wien, im Experteninterview mit www.dergesundheitsratgeber.info (20.12.2022).
Nachfolgend finden Sie das vollständige Interview.
„Die Effekte von körperlicher Aktivität und Sport sind vielfältig und wirken sich auf verschiedenste Organsysteme aus. Ähnlich wie bei einem Medikament, gibt es eine Mindestdosis, um positive Effekte auf den Organismus zu erzielen. In Studien konnte gezeigt werden, dass sich bereits circa zehn Minuten körperliche Aktivität pro Tag positiv auf Erkrankungs- und Sterberaten auswirken. Positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System sind beispielsweise eine Ökonomisierung der Herzarbeit, eine Verbesserung der Entspannungsfunktion der Arterien sowie positive Effekte auf den Stoffwechsel und somit auf Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie die Zuckerkrankheit oder erhöhte Blutfette.
Eine gut umsetzbare Empfehlung ist aus meiner Sicht, jeden zweiten Tag 30 Minuten ausdauerorientiert körperlich aktiv zu sein, wie zum Beispiel durch Spazierengehen, Wandern oder Radfahren. Integriert man dazu noch zwei Mal pro Woche 15 Minuten Kräftigungsgymnastik, erreicht man ohne großen Aufwand die von der WHO empfohlenen 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche. Sind die körperlichen Belastungen intensiver wie etwa beim Jogging oder Fußballspiel, reichen sogar 75 Minuten pro Woche für positive Effekte auf die Gesundheit aus. Wenn man sich nicht sicher ist, welche körperlichen Aktivitäten oder Sportarten die richtigen sind – zum Beispiel wegen Erkrankungen – sollte man dies vorab mit seinem Arzt besprechen.“
„Stress wird gerne als Risikofaktor genannt, ist jedoch keiner der typischen Risikofaktoren. Diese sind Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Fettstoffwechselstörungen, Nikotinkonsum, Fettleibigkeit, familiäre Häufung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bewegungsmangel. Chronischer Stress, der zu Überlastungs- und Erschöpfungssyndromen wie einem Burnout führen kann, kann ebenfalls einen Risikofaktor für das Herz-Kreislauf-System darstellen. Jedoch ist Stress schwer messbar und dessen Wahrnehmung individuell unterschiedlich.
Werden stressbedingt dauerhaft Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Schlafstörungen, leichte Reizbarkeit oder eine depressive Verstimmung verspürt, sollte dies ärztlich abgeklärt werden. Wichtig ist es dann, in den beruflichen und/oder privaten Alltag ausreichend Entspannung und Erholung zu integrieren. Regelmäßige körperliche Aktivität und Sport können hierbei helfen. Allerdings sollte dieser dann im erholsamen oder unteren ausdauerorientierten Intensitätsbereich erfolgen, da zu intensiv betriebener Sport ebenfalls ein Erschöpfungssyndrom herbeiführen kann.“
„So viel Bewegung wie möglich in unseren sitzenden Alltag integrieren. Denn das Sitzen ist das neue Rauchen! Die Treppe anstatt die Rolltreppe oder den Aufzug benutzen. Kurze Strecken zügig zu Fuß gehen. Bei öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Heimweg eine Station früher aussteigen. Wenn möglich, mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Regelmäßig Gymnastik- und Kräftigungsübungen zu Hause zum Beispiel vor dem Fernseher machen.“
„Dies ist abhängig vom Ausmaß beziehungsweise der Schwere der Herzerkrankung. Früher war man sehr restriktiv und hat Patient*innen mit einem Herzinfarkt über mehrere Wochen strenge Bettruhe verordnet. Heute liegen Patient*innen mit einem gewöhnlichen Herzinfarkt normalerweise nicht mal mehr eine Woche im Krankenhaus und erlernen in der sich kurz danach anschließenden Rehabilitation unter ärztlicher Aufsicht und sportwissenschaftlicher Anleitung, wie sie sich richtig körperlich belasten und trainieren. Auch bei Patient*innen mit Herzschwäche ist körperliches Training mittlerweile Standard.
Zu meiner Zeit in der Kardiologie der Universitätsklinik Heidelberg habe ich sogar Patient*innen mit schwerer Herzschwäche und hochgradig reduzierter Pumpkraft des Herzens, die kreislaufunterstützende Medikamente benötigten und über mehrere Monate auf der Intensivstation auf ihre Herztransplantation warten mussten, auf ein Fahrradergometer gesetzt und mit ganz niedriger Intensität „trainieren“ lassen.
Entscheidend ist bei Herzerkrankungen, dass man das Medikament Sport richtig dosiert, da bei zu hoher Belastung die Gefahr für einen plötzlichen Herztod steigt.“
„Wichtig ist es, bei sportmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen sowohl das Herz-Kreislauf-System als auch den Bewegungsapparat zu untersuchen. Denn sowohl der Motor als auch die Karosserie müssen den erhöhten Belastungen standhalten. Insbesondere mit zunehmendem Alter, und das beginnt beim Sportler beziehungsweise der Sportlerin bereits ab 30 bis 35 Jahren, können unbemerkt schon Verschleißerscheinungen an den Gelenken oder beginnende chronische Erkrankungen wie zum Beispiel die Arterienverkalkung vorliegen. Bei Sportler*innen unter 30 bis 35 Jahren und jugendlichen Sportler*innen gilt es eher, angeborene Erkrankungen, die mit einem erhöhten Risiko für eine spätere Schädigung am Bewegungsapparat wie Gelenkfehlstellungen oder Achsabweichungen einhergehen, oder angeborene und noch asymptomatische Erkrankungen am Herzen, die schlimmstenfalls einen plötzlichen Herztod verursachen können, herauszufischen.
Üblicherweise werden bei einer sportmedizinischen Vorsorgeuntersuchung ein ärztliches Gespräch und eine körperliche Untersuchung des Bewegungsapparates, der inneren Organe und des Nervensystems durchgeführt. Apparative Untersuchungen sind die Messung des Blutdrucks in Ruhe, bei Indikation der Lungenfunktion und idealerweise auch ein EKG in Ruhe, welches von den europäischen Fachgesellschaften als Standard für eine Sporttauglichkeitsuntersuchung empfohlen wird. Denn hierdurch kann bereits das Risiko für einen plötzlichen Herztod beim Sport verringert werden, wie eine bekannte wissenschaftliche Studie in Italien vor einigen Jahren belegen konnte.
Weitere sinnvolle Untersuchungen sind ein Belastung-EKG und zumindest eine einmalige Ultraschalluntersuchung des Herzens, da nicht alle Herzfehler oder -erkrankungen mittels Abhören oder Ruhe-EKG erkannt werden können. Da sich auch erst über die Zeit krankhafte Veränderungen einstellen können, sind regelmäßige sportmedizinische Vorsorgeuntersuchungen alle ein bis zwei Jahre anzuraten – ähnlich wie beim Pickerl für das Auto.“
„Ganz einfach: Weniger ist mehr! Wenn ein*e Sportler*in an einem Infekt erkrankt, muss eine Sportpause eingelegt werden. Und zwar bis er beziehungsweise sie wieder völlig gesund ist. Neben einer krankheitsbedingten reduzierten Leistungsfähigkeit kann durch Sport das Immunsystem kurzzeitig geschwächt werden und es dadurch zu einer Verschlimmerung eines Infekts bis hin zu einer Herzmuskelentzündung kommen, die lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen oder sich zu chronischer Herzschwäche entwickeln kann.
Man vergibt sich nichts, wenn man im erkrankten Zustand auf ein paar Trainingseinheiten oder gar einen Wettkampf verzichtet. Im Gegenteil. Denn während einer Erkrankung wirkt Training einem schnellen Heilungsverlauf entgegen und im Wettkampf wird man keine gute Leistung erbringen.
Bei einem gewöhnlichen Infekt der oberen Atemwege muss man mit einer Sportpause von ein bis zwei Wochen bis zur völligen Genesung rechnen. Bei etwas schwerer verlaufenden Infektionserkrankungen wie COVID oder der Grippe dauert es meist etwas länger, bis man wieder so leistungsfähig ist, um wieder richtig trainieren zu können.
Erst wenn man im Alltag wieder gut belastbar ist und körperliche Anstrengungen wie Treppensteigen oder bergauf gehen wieder beschwerdefrei absolvieren kann, kann man wieder mit niedrigen Belastungsintensitäten das Training aufnehmen. Im Zweifelsfall sollte man einen Arzt beziehungsweise eine Ärztin kontaktieren. Dieser kann neben der körperlichen Untersuchung durch die Bestimmung von Entzündungsparametern und weiteren Blutwerten sowie gegebenenfalls durch zusätzliche Untersuchungen wie EKG, Lungenfunktion oder Ultraschall gut beurteilen, ob ein Infekt folgenlos ausgeheilt ist und man wieder sicher das Training und seinen Sport aufnehmen kann.
Sind schwerere Erkrankungen wie eine Herzmuskelentzündung eingetreten, muss je nach Verlauf drei bis sechs Monate pausiert werden. Manchmal kann es aber auch sein, dass das Herz bleibende Schäden davon trägt und, wie im Fall des ehemaligen deutschen Fußball-Profis Daniel Engelbrecht, kein Wettkampfsport mehr betrieben werden kann.“
„Ich fahre im Sommer regelmäßig Mountainbike oder Rennrad im Wiener Wald oder Tullner Feld, im Winter trainiere ich auf dem Ergometer oder auf der Rolle. Mittlerweile gibt es tolle Programme und ich fahre besonders gern virtuelle Strecken, die ich auch schon real gefahren bin, wie zum Beispiel in meiner Heimat im Schwarzwald oder mit meinen Radfreunden aus Heidelberg auf den Mont Ventoux. Ich fahre gerne Ski und genieße dabei die wunderschöne österreichische Landschaft und Natur. Kräftigungsgymnastik mache ich ab und an abends oder morgens für etwa 20 Minuten – aber da war ich diesen Sommer etwas nachlässig und muss das jetzt in der dunklen Jahreszeit wieder reaktivieren.“